EU-Parlament für Massenüberwachung elektronischer Kommunikation
Das EU-Parlament stimmte für eine pauschale Massenüberwachung der elektronischen Kommunikation. Demnächst soll sie verpflichtend werden.
Das EU-Parlament stimmte gestern erstmals für eine pauschale Durchsuchung der gesamten elektronischen Kommunikation nach möglicherweise verbotenen Inhalten. Die Folgen der geplanten Massenüberwachung für den Schutz der Privatsphäre und der Datensicherheit innerhalb der EU sind frappierend. Das Gesetz wird voraussichtlich schon im Januar nächsten Jahres rechtswirksam. Ein für nächstes Jahr geplantes zweites Gesetz soll dieses Verfahren verpflichtend machen. Selbst dann, sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung private Nachrichten bislang geschützt hat.
Massenüberwachung nach dem Gießkannenprinzip
Gestern stimmte der Innenausschuss des Europaparlaments über eine Einschränkung der ePrivacy-Richtlinie zum Schutz privater Kommunikation ab. Die Durchsuchung aller Chats, Messenger-Inhalte und E-Mails geschieht nach Inkrafttreten anlasslos und ohne jede Ausnahme. Hintergrund. Mit der sogenannten ePrivacy Derogation (= Aufhebung des Gesetzes) will die EU-Kommission die Suche nach möglichen kinderpornografischen Inhalten verbessern. Der gestrige Beschluss ändert eine Richtlinie zum Schutz der Internetkommunikation, den Europäischen Code für elektronische Kommunikation. Der Code hat das Ziel, die Vertraulichkeit von Nachrichten über Messengerdienste, E-Mail-Kommunikation und Internettelefonie zu schützen und das Fernmeldegeheimnis auch auf sie auszuweiten. Die von der Kommission geplanten Gesetzesänderungen hebeln diese Vertraulichkeit wieder aus und schaffen Hintertüren.
Am 10. September 2020 legte die EU-Kommission einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor. Anbietern von E-Mail-, Chat- und Messengerdiensten soll es nach Inkrafttreten gestattet sein, den Inhalt aller privaten Nachrichten verdachtslos nach Kinder- und Jugendpornografie zu durchsuchen. Doch auf der Suche nach noch unbekannten Darstellungen werden häufig auch Nacktaufnahmen Volljähriger abgefangen. Außerdem sollen Algorithmen Textnachrichten nach Anbahnungen sexueller Kontakte zu Minderjährigen durchsuchen. Vermeintliche Treffer sollen dann automatisch der Polizei angezeigt werden.
Weiteres Gesetz soll anlasslose Analyse der Inhalte verpflichtend machen
Ein für 2021 geplantes zweites Gesetz soll dieses Verfahren zur Massenüberwachung verpflichtend machen. Auch in dem Fall, wo bisher sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung private Nachrichten vor einer Analyse Dritter schützt. Der Europaabgeordnete und Schattenberichterstatter Patrick Breyer (Piratenpartei) kommentiert das Ergebnis der gestrigen Abstimmung.
„Dass Konzerne wie Facebook und Google unsere gesamte private Kommunikation verdachtslos ausschnüffeln und zu Hilfspolizisten gemacht werden sollen, ist beängstigend. Die von organisierter Kriminalität genutzten Kanäle werden so nicht erreicht. Stattdessen bringt diese Denunziationsmaschine Tausende zu Unrecht in den Verdacht einer Straftat. Kinder und Opfer von Straftaten haben ein Recht auf wirksame Hilfe und gerichtsfeste Gesetze statt leere Versprechen, auf geschützte Räume zur Beratung und Selbsthilfe statt Massenüberwachung.“
Wie geht es weiter?
Mitte Dezember soll das Plenum des Parlaments den Bericht durchwinken verabschieden. Dann beginnen die Trilog-Verhandlungen, in denen Vertreter des Parlaments mit dem Rat verhandeln. Das Gesetz wird voraussichtlich schon im Januar wirksam. Im zweiten Quartal 2021 will die EU-Kommission den zweiten Gesetzentwurf vorlegen, der dann die Nachrichtendurchleuchtung für E-Mail-Anbieter und Betreiber sozialer Netzwerke und Messenger verpflichtend machen soll.